Einen Tag vor meinem zweiwöchigen Sommurlaub möchte ich die Chance nutzen, einmal auf die letzte Zeit in der politischen Landschaft der Stadt zurückzublicken und mich dabei selbst ein wenig zu sortieren.

Ich dachte, es kann Sinn machen, andere daran teilhaben zu lassen. 

Nicht zuletzt deshalb, weil ich ja mit einem Transparenzversprechen für das Amt des Oberbürgermeisters kandidiert habe.

Seit dem 01.06.2020 bin ich im Amt als Verantwortlicher für Klima, Mobilität und Soziales in der Stadt Bamberg.

Das erste halbe Jahr war für mich persönlich geprägt von einer Aufbruchstimmung durch neue grün-rot-bunte politische Konstellationen im Stadtrat. Wir haben eine Klimasondersitzung vorbereitet und erfolgreich Beschlüsse herbeigeführt. Wir haben uns um den Verkehrsentwicklungsplan gekümmert, der seit Jahren politisch brach lag und nun die Verkehrswende für die kommenden Jahre definiert. Wir haben in 2021 einen Rekordzubau an neuen Kitaplätzen verwirklicht. Wir haben Unterstützungsfonds für zivilgesellschaftliche Projekte etabliert, die eine echte Vorstufe zu einem BürgerInnenhaushalt sind.

Ich musste lernen, dass viele Dinge einen deutlich längeren Atem brauchen, als ich es mir vorgestellt habe. Und dass es auch in einer Verwaltung Menschen gibt, die am selben Strang ziehen und ihre Stadt im Blick haben bei ihrem Handeln. Besonders prägend waren aber Umstände, die ich bei meiner Entscheidung aus der Privatwirtschaft in das Rathaus zu wechseln, nicht eingeplant hatte:

  1. Die Coronapandemie
  2. Die Ukrainekrise
  3. Die Energiekrise
  4. Prüfbericht, Staatsanwaltschaft und Fake-Account-Skandal

Mit den Punkten 1-3 hat jede Gemeinde oder Stadt dieser Republik umzugehen, es ist darüber mannigfaltig diskutiert worden und es wird noch darüber diskutiert. Die Krisen treffen die Kommunen hart und alle drei sind unmittelbar mit der Arbeit im Sozialreferat verbunden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den betroffenen Bereichen gehen auf dem Zahnfleisch und machen seit über zwei Jahren einen wahnsinnig guten Krisenjob ohne Krisen-Unterbechung!

Der Punkt 4 ist aber bambergspezifisch und ich möchte die Chance kurz vor meinem Sommerurlaub nutzen, darüber noch ein wenig nachzudenken und die Gedanken zu sortieren. Insbesondere will ich hier dafür plädieren, die Debatten dazu in der Stadtgesellschaft bestmöglich und so zügig wie gründlich abzuschließen um sich wieder den wichtigen Fragen der Stadtentwicklung zuzuwenden.

 

Dezember 2020 – Der Prüfbericht

 

Im Dezember 2020 kommt ein bis dahin zu wenig beachteter Prüfbericht durch die Veröffentlichung durch eine Whistleblowerin, die ihn an die Presse weitergibt, ans Tageslicht.

Ein Prüfbericht, der sich mit Versäumnissen aus einer Zeit befasst, in der wir Grünen noch die Hauptsmoorwälder und kostenlosen Parkplätze besetzt haben und unsere damals engagierte Stadtratsfraktionen eine engagierte und klassische Oppositionsrolle spielte.

Der letzte Gedanke sollte nicht davor schützen zu fragen, was auch bei uns damals schief gelaufen ist (Kontrolle?), aber es ist schon eine gewisse Ironie, dass Grüne erstmals seit 1949 im Rathaus etwas zu melden haben und sich dann vor allem mit der Aufarbeitung der Fehler der Vergangenheit befassen müssen. Dies hat auch unsere Stadtratsfraktion – in ihrem permanenten Drang, Dinge in der Stadt weiter entwickeln zu wollen- als Gruppe und in der eigenen Motivation besonders gefordert.

Dieser genannte Prüfbericht hat nun 1,5 Jahre die lokale und überregionale Presse beschäftigt und zu mehreren Strafverfahren, der Rückforderung von Zahlungen an MitarbeiterInnen, der Prüfung von Regressansprüchen und etwaigen disziplinarrechtlicher Folgen, geführt.

Die strafrechtliche Bewertung nimmt die Staatsanwaltschaft dabei in diesen Tagen gemeinsam mit Gerichten vor, die disziplinarrechtliche Bewertung wird von der Landesanwaltschaft getroffen.

Doch was ist eigentlich aus der politischen Bewertung geworden?

Aus meiner Sicht resultieren die Prüffeststellungen 2013 und 2020 rückblickend insbesondere aus drei Gründen:

  1. Zu wenig Transparenz
  2. Zu wenig Kontrolle
  3. Zu wenig Prozess – zu viel Einzelfall

 

1. Zu wenig Transparenz

Viele Personalentscheidungen -und auch Entscheidungen zu Prämien und Zulagen- wurden am Stadtrat vorbei und auch an der breiten Mitarbeiterschaft vorbei getroffen. Es war zu keinem Zeitpunkt transparent, nach welchen Kriterien Zusatzzahlungen erfolgen und auch der Personalsenat (Gremium des Stadtrats) wurde nicht informiert oder gar einbezogen. Oft entstehen solche Abläufe aus der Überlegung, Dinge “zügig” und “unbürokratisch” abwickeln zu wollen. In diesem Fall ist mein ehrliches Fazit nach zwei Jahren, dass gerade keine “kriminelle Energie” Auslöser des Systems war, sondern der Wille “schnelle Entscheidungen” und “unbürokratische Lösungen” herbeizuführen. Verfahren hinter verschlossenen Türen neigen dazu, nach einer gewissen Zeit Eigendynamiken zu entwickeln und sich der Kontrolle immer weiter zu entziehen. In diesem Thema kommt dazu, dass das Ansinnen nach “schnellen Lösungen” rechtswidriges Handeln selbstverständlich niemals legitimieren kann und darf.

Die beanstandeten Zahlungen sind ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn es zu wenig Transparenz in öffentlichen Institutionen gibt.

Es braucht also sowohl eine Stärkung des Personalsenats, in dem mehr Informationen von Seiten der Verwaltung geteilt werden. Es braucht darüber hinaus eine vertrauensvollere Zusammenarbeit mit der Mitarbeiterschaft (Personalrat) auf Augenhöhe.

2. Zu wenig Kontrolle

Die Kommunalpolitik hat -im Gegensatz zur Landes- und Bundespolitik- eine krasse Diskrepanz zwischen Ressourcen der Ehrenamtlichen (44 Stadträte im Nebenjob mit Aufwandsentschädigung) und einer hauptamtlichen Verwaltung (hier mit über 1000 Mitarbeitenden). Dies ist kein Bamberger Phänomen, sondern ein Wesenskern der kommunalen Ebene.

Ehrenamt tut sich in der Menge der Daten und Informationen mitunter schwer, einem gewissen Kontrollanspruch nachzukommen. Dennoch muss man sich die Frage stellen, warum insbesondere langjährigen Stadträtinnen und Stadträten (aller Fraktionen!) die Bedeutung einer überörtlichen Prüfung (ungefähr einmal in der Dekade!) nicht bewusst war. Sowohl der Bericht 2013, als auch der Bericht 2020 enthält zum Teil gravierende Prüfungsfeststellungen, bei denen es der Kontrolle, Nachfrage und erneuten Kontrolle bedurft hätte. Auch ich mache mir einen gewissen Vorwurf, dass ich ihn mir in den Wochen, in denen es relevant gewesen wäre (Herbst 2020) nicht wirklich zur Hand genommen habe. Jedoch gibt es mit dem Rechnungsprüfungsausschuss ein Gremium aus Stadträtinnen und Stadträten, dass im gesamten Zeitraum zwischen 2013 und 2020 ein besseres Augenmerk auf das Dokument hätte legen müssen.

Es braucht also auch Stadträtinnen und Stadträte, die immer wieder kritische Nachfragen stellen, ihre Aufgaben Ernst nehmen und sich nicht von der Verwaltung einlullen lassen in Beschwichtigungen und Zusagen. Auch für diese Arbeit braucht es Engagement und einen wachen Geist. Und Zeit. Ich bin deshalb immer kein Freund von der Idee, ausgerechnet bei Stadträtinnen und Stadträten über Aufwandsentschädigungen und Aufsichtsratsvergütungen zu diskutieren. Die Causa Prüfbericht zeigt, dass es eben gute und engagierte Menschen in diesen Gremien braucht.

3. Zu wenig Prozess – zu viel Einzelfall

Die Stadtverwaltung ist geprägt von Einzelfallenscheidungen. Dies hat mehrere Gründe.

  • Es gibt eine politische Stimmung, auch im Stadtrat, die nicht den Mut hat, Entscheidungen über dem Minimalkompromiss zu treffen. Es werden also viele Entscheidungen getroffen, bei denen alle möglich denkbaren beteiligten Akteure ohne Ausnahme einverstanden sind. Wenn eine -noch so kleine- Gruppe, eine Entscheidung nicht mitträgt, findet sie zunächst engagierte VertreterInnen im Stadtrat, die ihr Anliegen (und sei es noch so unrational!) vertreten. Im zweiten Schritt findet sich eine Lokalpresse, die über nichts dankbarer ist, als Einzelbetroffene, die gegen eine Entscheidung wettern. In der Berichterstattung wird dann in der Regel nur die Seite der minimal kleinen Gruppe berichtet und das Thema aufgebauscht, oft über mehrere Tage. Im nächsten (dritten) Schritt fehlt dann der Mehrheit und oft auch der politischen Spitze der Mut eine richtige Entscheidung für 99% der Stadtbevölkerung, aber gegen 1% der unmittelbar Betroffenen zu treffen. Daraus resultiert, dass aus jeder Frage eine Einzelfallfrage gemacht wird. Auch im Personalbereich sind in der Vergangenheit Entscheidungen so getroffen worden (wer kennt jemanden, wer setzt sich für wen ein, wer hat ein bestimmtes Parteibuch…)
  • Die (berechtigten) Diskussionen um rechtswidriges Verhalten und die plakative Verurteilung von Personen bis in die dritte Führungsebene des Rathauses in Zeitungsberichten der letzten zwei Jahre hat die Konsequenz, dass mittlere Führungskräfte in der Stadtverwaltung sich scheuen, selbst Entscheidungen zu treffen oder Prozesse zu implementieren, die zu Entscheidungen führen. Auch dies hat als Konsequenz, dass zu viele Einzelfallenscheidungen getroffen werden, anstatt regelhafte und transparente Vorgehen zu etablieren.
  • Die Frage, wer in der Vergangenheit von Prämien und Zulagen profitiert hat, war eindeutig auch davon abhängig, in welcher Organisationseinheit er tätig war. Es gab eben keine inhaltlichen Vorgaben (aus dem Stadtrat, aus dem Personalreferat) nach welchen Kriterien MitarbeiterInnen Ansprüche auf übertarifliche Leistungen haben.

Es ist also notwendig, dass von Seiten des Personalreferats Prozesse etabliert werden, die für alle nachvollziehbar sind und das Arbeiten effizienter machen.

Um von der Logik des Einzelfalls und des Ansehens von Personen loszukommen, habe ich für die Frage der Rückforderungen im Frühjahr 2021 ein 200.000€ teures externes Gutachten in Auftrag gegeben. Dafür bin ich auch kritisiert worden. Ich halte es aber nach wie vor für richtig, dass in dem tiefen Sumpf, in dem die Personalpolitik steckte, nur externe Akteure glaubhaft rauziehen helfen konnten.

Dezember 2021 – Der Fake-Account-Skandal

Im Dezember 2021 kam es zu einem weiteren Vorkommnis, nämlich dem sog. Fake-Accounts um Stefan Sandmann und Co.
Letztlich ist diese Sache aber schneller beantwortet, als die Vorhergehende: Es gibt einen Anspruch der Öffentlichkeit zu erfahren, was Sache war und ist.

Darüber hinaus muss die Verbindung zwischen politischer Vertretung im Stadtrat und Geschäftsführung des Stadtmarketings aufgelöst werden. Ich glaube persönlich (anders als Andere), dass Klaus Stieringer mit seiner Tatkraft tatsächlich Stärken hat, die für die Stadtgesellschaft nutzbar sind.

Allerdings muss der Stadtrat gemeinsam mit den Innenstadtakteuren eine führende Rolle in der inhaltlichen Ausrichtung der Innenstadtentwicklung einnehmen. Und er muss Entscheidungen treffen, statt Minimalkompromisse (s.o.)

Die Geschäftsführung des Stadtmarketings muss eine dienende Rolle in der Umsetzung der Anliegen einnehmen. Die Frage ist lediglich, ob das Aussitzen mittlerweile zu lang war für einen glaubhaften Neustart.

Pladoyer: Vorwärts statt im Kreis

Neben den inhaltlichen politischen Konsequenzen müssen sich die Akteure sicher fragen, welche Rolle sie übernommen haben und was sie für Konsequenzen ziehen wollen. Es ist nicht meine Aufgabe, dies zu beurteilen, zumal es in Bayern keine Abwahlmechanismen wie in anderen Bundesländern gibt. Insofern wird die Entscheidung immer von den Akteuren selbst getroffen. 

Die stadtgesellschaftliche Debatte (FT, social media, Stadtrat) war dabei in den letzten zwei Jahren stark geprägt von Rückspiegel-Debatten. Manchmal denke ich, ob es ein ureigenes Merkmal einer Welterbestadt ist, dass der Blick in den Rückspiegel mehr Zeit in Anspruch nimmt, als der durch die Frontscheibe. Sicher gibt es ein öffentliches Interesse an Personalisierung und mitunter auch Skandalisierung von Politik. 

Nichts desto weniger muss man auch anerkennen, dass gerade Florian Herrnleben und der Fränkische Tag einen enormen Beitrag zur Aufklärung der Öffentlichkeit geleistet haben. 

Nehmen wir nun aber den Kopf vom Rückspiegel in den Frontspiegel, komme ich zu folgendem Schluss:

Wir haben in der Stadt weiter einen Rückstand bei vielen Themen, die wir mit ziemlicher Kraft in nächster Zeit angehen müssen:

  • Innenstadtentwicklung mit dem Schwerpunkt auf neuen Nutzungskonzepten und Klimaanpassung
  • Wirtschaftsentwicklung jenseits der Automobilbranche
  • Ausbau und Sanierung der sozialen Infrastruktur
  • Wohnraumentwicklung und Deckelung der Preisexplosion bei Mieten
  • (…)

Sicher kann jede und jeder, der oder die diesen Text bis hierhin geschafft hat, die Liste für sich erweitern.

Ich möchte aber noch ein Thema skizzieren, was aus meiner Sicht in den Stadtratsdebatten unterbelichtet ist. Viele Bürgerinnen und Bürger haben in den letzten Monaten den teils dramatischen Personalmangel in der Stadtverwaltung zu spüren bekommen, beispielsweise beim Abholen von Kinderreisepässen, dem Versuch städtische Ämter zu erreichen oder einen Bescheid zu erhalten.

Dabei geht es um Kernbereiche der Handlungsfähigkeit unserer Stadt. Auch die oben in den Stichpunkten genannten Entwicklungsaufgaben werden wir nur bewältigen, wenn es

  1. ausreichendes und
  2. motiviertes

Personal in der Stadtverwaltung gibt. Der Personalhaushalt ist sehr teuer und natürlich gibt es – wie in jedem Unternehmen mit über 1000 Menschen – auch Personen, die unterbeschäftigter sind als andere. Für die kommenden Jahre müssen wir uns aber darauf einstellen, dass es eine Mammutaufgabe wird, auch die grundsätzlichen Aufgaben erfüllen zu können (Mülleimer entsorgen, Pässe ausstellen, Parküberwachung vornehmen, Inobhutnahmen von Kindern).

Um diese Themen positiv, mit Lust und Energie anzugehen braucht es einen Blick durch die Frontscheibe und “Lust darauf” unsere Stadt weiter zu entwickeln und lebenswert für unsere Kinder und Enkel zu erhalten.

Dies geht besser, wenn wir uns nicht dauernd im Kreis um unsere Probleme drehen, sondern miteinander diskutieren, wie wir eigentlich in Zukunft in dieser Stadt leben wollen.

Deshalb bin ich dafür, dass es für die nächsten 24 Monate reicht, wenn wir vielleicht abends beim Bier über Fakes und Gates und Skandale reden und uns den Rest des Tages wieder mit Stadtentwicklung beschäftigen!

 

Wenn Sie eine Meinung zu meinem Text haben, Dinge anders sehen oder Impulse haben, freue ich mich über Ihr Feedback auf meinen Social-Media-Kanälen oder per Mail.